Ab wann gilt eine Epilepsie als geheilt?

Epileptische Anfälle sind unspezifische Reaktionen des Gehirns auf eine Fülle von möglichen schädlichen Einwirkungen; deshalb kann jedes Lebewesen mit einem entsprechend entwickelten Zentralnervensystem epileptische Anfälle bekommen. Zwischen 5 und 10% der Bevölkerung haben aus verschiedenen Gründen ein erhöhtes Risiko, an Anfällen zu erkranken. Ein einzelner Anfall macht noch keine Diagnose Epilepsie, besonders dann nicht, wenn sich ein Auslöser dafür definieren lässt. Es ist heute üblich, die Diagnose Epilepsie dann zu stellen, wenn jemand mindestens 2 unprovozierte Anfälle erlitten hat. Dies ist aber letztlich eine willkürliche Übereinkunft. Der Grund für sie ist, dass unter dieser Voraussetzung meistens noch weitere unprovozierte Anfälle folgen werden. Zwischen den Anfällen ist der Patient in der Regel symptomfrei. Im strengen wissenschaftlichen Sinn beschreibt die Diagnose daher nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine mehr oder weniger hohe, oft sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft weitere Anfälle auftreten werden.

Hieraus ergibt sich deutlich, dass Heilung ähnlich schwierig zu definieren ist. Die grundsätzliche Fähigkeit des Gehirns, Anfälle zu produzieren und ggf. das individuell erhöhte Erkrankungsrisiko bleiben selbstverständlich immer bestehen. Auch eine Wiedererkrankung bei entsprechenden Ursachen ist grundsätzlich möglich - wie bei den meisten Krankheiten. Es bedürfte also auch für die Feststellung der Heilung einer praktikablen Übereinkunft, die bisher aber noch nicht getroffen wurde. Sie könnte z.B. darin bestehen, dass von Heilung gesprochen wird, wenn mit hoher oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine weiteren Anfälle mehr zu erwarten sind. Dies ist nach langer anfallsfreier Zeit möglich, die man nicht kürzer als 2 Jahre und nicht länger als 5 Jahre ansetzen würde. Dabei kann der Vorbehalt gemacht werden, dass die Medikamente abgesetzt sein müssen, bevor man Heilung annimmt. Bis dahin könnte von einer bedingten Heilung gesprochen werden. Wenn man dies berücksichtigen will, muss ein zweites Zeitkriterium der Anfallsfreiheit ohne Medikamente eingeführt werden, das man sinnvollerweise mit 1 Jahr ansetzen könnte.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es eine gültige Definition von Heilung einer Epilepsie nicht gibt. Eine kaum angreifbare Definition könnte jedoch sein, dass ein Patient als geheilt gilt, der seit mindestens 5 Jahren anfallsfrei ist, davon mindestens das letzte Jahr ohne Medikamente.

Autor: Prof. Dr. Peter Wolf, Bielefeld-Bethel, Institut für Interdisziplinäre Epilepsieforschung, Dezember 2004

Beirat: Prof. Dr. A. Schulze-Bonhage, Neurozentrum Freiburg

Herausgeber: Dt. Gesellschaft für Epileptologie