Kann der Vater eine Epilepsie vererben?

Der Begriff Epilepsie umfasst eine große Gruppe unterschiedlicher Erkrankungen. Bei einem Teil dieser Erkrankungen tragen Erbanlagen zur Entstehung bei. Bei einigen seltenen Epilepsien sind Erbanlagen sogar der ausschlaggebende Faktor für das Auftreten der Erkrankung. Die meisten Epilepsien entstehen aber durch das Zusammentreffen verschiedener Erbanlagen mit (im weitesten Sinne) ungünstigen äußeren Einflüssen. Träger dieser Erbanlagen sind die Chromosomen, wovon jede Zelle 22 Autosomenpaare und die Geschlechtschromosomen X und Y besitzt. Nur wenn die ungünstige Erbanlage auf dem X-Chromosom liegt, beobachtet man bevorzugt eine Vererbung durch die Mutter. Die meisten Erbanlagen liegen auf den Autosomen, und können somit sowohl vom Vater als auch von der Mutter vererbt werden. Für das Wiederholungsrisiko der Kinder sollte es deshalb unerheblich sein, welches Elternteil erkrankt ist. Trotzdem gibt es mehrere Studien, welche Epilepsien etwas öfter bei den Kinder erkrankter Mütter als bei solchen von erkrankten Vätern gefunden haben. Unklar ist, ob es sich hierbei um ein statistisches Problem handelt, oder ob tatsächlich ein Unterschied im Wiederholungsrisiko besteht. Die meisten dieser Studien haben das Problem, dass sie möglicherweise nicht die tatsächlichen Wiederholungsrisiken wiederspiegeln. So wurden die an den Studien teilnehmenden Familien zumeist durch die Patienten erfasst. Daraus ergäbe sich zum Beispiel dann eine Fehleinschätzung, wenn erkrankte Männer aus sozialen (schlechtere Berufsaussichten aufgrund der Erkrankung) oder biologischen (reduzierte Fortpflanzungsfähigkeit) Gründen insgesamt weniger Kinder haben. Dies würde dazu führen, dass man häufiger Mütter als das betroffene Elternteil identifiziert, was zu dem falschen Schluss führen könnte, das diese eher eine Epilepsie vererben. Eine bessere Schätzung wäre möglich, wenn man das Verhältnis betroffener zu nicht-betroffenen Kindern von Männern und Frauen mit Epilepsie untersucht. Interessanterweise gibt es Hinweise, dass Geschwister von erkrankten Mädchen häufiger ebenfalls eine Epilepsie haben als Geschwister von erkrankten Jungen. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass bei Mädchen mehr ungünstige Erbanlagen zusammenkommen müssen, damit sie eine Epilepsie entwickeln. Je mehr solcher ungünstigen Erbanlagen in der Familie vorhanden sind, desto wahrscheinlicher ist dann wiederum das Auftreten der Epilepsie bei Geschwistern. Und natürlich hätten dann später auch Kinder solcher betroffenen Mädchen ein höheres Risiko für eine Epilepsie als Kinder von betroffenen Jungen. Solange diese Fragen noch nicht geklärt sind, muss die Antwort auf die Frage lauten: Ja, sie können, aber möglicherweise etwas seltener als Mütter!

Literatur:

Doose H, Neubauer BA. Preponderance of female sex in the transmission of seizure liability in idiopathic generalized epilepsy. Epilepsy Res 2001 43:103-114.

Autorin: PD Dr. med. Ortrud Steinlein, Bonn , 12/2004

Beirat: PD Dr. Andreas Schulze-Bonhage, Neurozentrum Freiburg